Eines praktischen Beispiels, wie anfällig die kritische Infrastruktur sein kann und wie katastrophal sich Störungen auf den Alltag auswirken, hätte es an diesem Mittwoch eigentlich nicht bedurft, doch wie es der Zufall will, sorgte ein durchschnittenes Signalkabel am Stellwerk Rummelsburg für ein neuerliches Bahnchaos in der Hauptstadt, von dem auch einige Referenten der mittlerweile 12. Fachtagung des KKI e.V. betroffen waren. Ausgerechnet Matthias Max und Tim Neubert, Manager der in München ansässigen Deloitte GmbH, die wenig später über die „Fähigkeit, auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren zu können“, waren Opfer des Bahnanschlags und erreichten den Veranstaltungsort VKU-Forum nur mit erheblicher Verspätung.
Den Feind im Osten wirksam abschrecken
Sie verpassten neben der Begrüßung durch den 1. Vereinsvorsitzenden Martin Debusmann und Geschäftsführerin Andrea Pieper dadurch den Vortrag von Susann Conrad vom Territorialen Führungskommando der Bundeswehr, die über Herausforderungen in der militärischen Verteidigung und den Operationsplan Deutschland aus Sicht der Bundeswehr referierte. Als Mitglied des Verteidigungsbündnisses NATO sei es Hauptziel des Militärs den Feind im Osten abzuschrecken und professionell auf hybride Bedrohungen zu reagieren. Desinformation und Fake-News, Cyberangriffe, Ausspähung und Sabotage würden, wenngleich häufig nicht klar attribuierbar, deutlich zunehmen, was die Regierungsrätin durch Beispiele veranschaulichte: den Hackerangriff auf 72 nordrhein-westfälische Kommunen im Oktober vergangenen Jahres, der Schaden an einer Ostseepipeline zwischen Finnland und Estland oder großräumige GPS-Störungen im Ostseeraum Anfang dieses Jahres, die den Flugverkehr massiv beeinträchtigten und mutmaßlich auf Störsender in der Satellitennavigation zurückzuführen waren.
Um auf derartige Anschläge und Bedrohungen vorbereitet zu sein, sei es Ziel des Operationsplans Deutschland, in der Landes- und Bündnisverteidigung eine schnelle Handlungsfähigkeit über alle Ressort- und Ländergrenzen hinaus zu garantieren.

Das Zeitalter der Eichhörnchen ist vorbei
In diesen Plan integriert sind auch rund 1500 kommunale Unternehmen, die sich als KRITIS-Betreiber definieren und unter dem Dach des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) agieren. Dessen Geschäftsführer Dr. Andreas Zuber beschrieb die sicherheitspolitische Zeitenwende auf seine ganz eigene Art: „Das Zeitalter der Eichhörnchen ist vorbei“, sagte Zuber und erklärte seine These mit Untersuchungen aus der Vergangenheit, denen zufolge meist Nagetiere für auftretende Leitungsschäden verantwortlich gewesen sind. „Diese Analyse ist längst eingestellt, weil es andere Probleme und Ursachen gibt, die zu Leitungsschäden führen“, erklärte Zuber und verwies auf eine Konzeption aus dem Jahre 2016, die – auch zum Schutz kritischer Infrastrukturen - die Zusammenführung des militärischen Zivilschutzes und des zivilen Katastrophenschutzes zum Ziel hatte.
Auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren
„Alle gesellschaftlichen Systeme stammen aus einer relativ stabilen Zeit, ohne Betriebsunterbrechungen und Krisen“, betonte Matthias Max in seinem Vortrag über das KRITIS-Dachgesetz und Resilienzmanagement als orchestrierende Dachdisziplin. Da in der Vergangenheit alle Systeme in einem stabilen Umfeld und unter stabilen Rahmenbedingungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entstanden sind, müssten sie heute in der Lage versetzt werden, im Fall unvorhergesehener Ereignisse wie Störungen, Notfällen oder Krisen adäquat reagieren zu können. Doch oft würden die vorhandenen Systeme nicht aufeinander aufbauen und ineinander greifen, sondern autark nebeneinander existieren.

Krisenlagen sind Gesundheitslagen
Am Beispiel der Stadt Potsdam machte Björn Stahlhut, Leiter der Koordinierungsstelle Kommunales Krisenmanagement, deutlich, welche Herausforderungen Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement in der Praxis auf eine Großstadt wie Potsdam zukommen. In einem Test habe man untersucht, was ein 96-stündiger Stromausfall für die brandenburgische Landeshauptstadt bedeuten würde: Stahlhut nannte Kosten von etwa einer halbe Milliarde Euro, die weniger auf Produktionsausfälle, sondern vielmehr auf Plünderungen und andere Aktivitäten der Bevölkerung zurückzuführen seien. Im Fokus müsste bei allen denkbaren Krisen die medizinische Versorgung zählen, die auch zur kritischen Infrastruktur zählt – darunter fällt auch die Verfügbarkeit von Medikamenten. Stahlhuts Prognose: 75 Prozent der künftigen Lagen können Gesundheitslagen sein. Auch deshalb fordert der kommunale Krisenmanager eine noch bessere Vernetzung im Katastrophenschutz, was vor allem Rettungsdienst und Krankenhäuser betrifft.
Eine von Stephan Boy, Mitglied des KKI e.V., moderierte Diskussionsrunde zum Thema „Zivile Verteidigung – Auswirkung auf KRITIS-Betreiber – Erwartungshaltung vs. Realität“ beschloss die gut vierstündige Fachtagung.
Dieser Austausch wird auf Initiative des KKI e. V. | Kompetenzzentrum Kritische Infrastrukturen e. V. schon am 18. Februar 2025 beim traditionellen Netzwerkabend fortgesetzt.
